BERÜHMTE KURGÄSTE IN SODEN
Iwan Turgenjew
„Weshalb kommt er nicht nach Soden? … Die Wässer von Soden sind für solche Fälle am besten, wenn nicht die besten.“ Aus einem Schreiben Turgenjews an den russischen Lyriker Afanasij Fet für den an Tuberkulose erkrankten Nikolai Tolstoi.
Vom 6. Juni bis 13. Juli 1860 wohnte der russische Schriftsteller Iwan Turgenjew (1818-1883) im Hotel Europäischer Hof (Hôtel de l’Europe), wie es das Gästebuch vermerkt. Eigentümer des Hotels war seit 1854 Philipp Colloseus, der es zuvor bereits als Pächter betrieb. Es lag an der Königsteiner Straße (Nähe Ecke Alleestraße) und war damals eines der ersten Häuser am Ortseingang. Von der Werbung noch nicht als Grandhotel betitelt, so galt es doch damals schon als eines der führenden Kurhotels im Ort. Es konnte allein zwölf „Badecabinette„ aufweisen.
Turgenjew war als Kurgast nach Soden gekommen, um seine Bronchitis auszukurieren. Er genoss wohl nicht nur das Kuren, auch weibliche Bekanntschaften hatten es ihm angetan. Der Bruder Leo Tolstois, Nikolai Tolstoi, dem Turgenjew Soden empfohlen hatte und der einige Tage zeitgleich mit ihm den Badeort besuchte, berichtet: „Wir spielen Schach, kommen aber damit nicht recht zustande. Er denkt an sein deutsches Mädchen und ich ans Gesundwerden.“ Als Leo Tolstoi im August 1860 selber nach Soden kam, war Turgenjew schon wieder abgereist.
Turgenjew erinnerte sich an den Kurort Soden in seiner 1871 verfassten und 1873 erstmals publizierten Novelle „Frühlingswogen" (späterer Titel: Frühlingsfluten). Somit fand, wenige Jahre vor Anna Karenina (1877/1878) von Leo Tolstoi, der Kurort Soden bereits Eingang in die Weltliteratur.
Iwan Turgenjeff [sic!], Frühlingswogen, aus dem Russischen von Wilhelm Lange, Leipzig, o.J.
1870 denkt der adelige Gutsbesitzer Dimitri Sanin an den Sommer 1840 in Frankfurt zurück. Dort hatte er nach einem Italienaufenthalt vor seiner Rückreise nach St. Petersburg einen Zwischenstopp eingelegt und dabei in der italienischen Konditorei Giovanni Roselli die etwa 19-jährige Gemma Roselli kennengelernt. Beherzt rettet er deren 14-jährigen Bruder Emilio das Leben und findet somit Zugang zur Familie Roselli. Sanin verpasst die bereits vollständig bezahlte Kutsche nach Berlin und bleibt bei Gemma in Frankfurt. Gemmas Bräutigam Karl Klüber, wohlhabender Leiter eines Frankfurter Tuch- und Seidengeschäfts, lädt den Lebensretter zu einer gemeinsamen Ausfahrt nach Soden am Taunus ein…
Richard Wagner
Ein weiterer Besucher Sodens, der aber streng genommen nicht zu den Kurgästen gezählt werden darf, ist der Komponist und Dirigent Richard Wagner (1813-1883).
Grund seines Besuches vom 12. auf den 13. August 1860 war die Hoffnung, die Einwilligung zur Scheidung von seiner Frau Minna, geb. Planer, zu erhalten, die mit ihrer Freundin Mathilde Schiffner in Soden kurte. Allerdings lehnte diese ab, so dass Wagner die beiden Tage in Soden im Nachhinein als „unerfreulich“ bezeichnete.
Wagner nahm, weil im Logierhaus Saxonia bei Familie Carl Jung – wo seine Frau Quartier genommen hatte – kein Platz mehr war, im Nachbarhaus ein Zimmer (heutiges Pfarrhaus, ehemals Hauptstraße, heute Zum Quellenpark 28).
An beiden Häusern findet sich eine Gedenkplakette, die auf den Aufenthalt Wagners in Soden hinweist. Dies ist insofern nicht falsch, da die beiden Gebäude einst verbunden waren und einer Familie gehörten. Die Tafeln berichten von Wagners erster Nacht auf deutschem Boden. Der Künstler war nach seiner Teilnahme am gescheiterten Dresdner Mai-Aufstand 1849 steckbrieflich gesucht worden und hatte sich den Behörden durch Flucht ins Ausland entzogen. Wagner erhielt im August 1860 aufgrund einer Teilamnestie durch den sächsischen König wieder die Möglichkeit, deutschen Boden zu betreten.
Als bekannt wurde, dass ein so berühmter Komponist und Kapellmeister in Soden zu Gast war, spielte ihm die Kurkapelle unter Leitung von Ferdinand Pöpperl ein Ständchen. „Wagner dankte“, so der dabei anwesende Lehrer Presber in seinen Erinnerungen „in einer an die Musikkapelle und das zahlreich herbeigeeilte Publikum gerichteten Ansprache für die Ehre und bemerkte, er sei kein Freund von Ovationen, diese aber sei ihm umso wertvoller, als sie die erste größere Begrüßung bilde, die ihm bei der Rückkehr ins Vaterland nach elfjähriger Verbannung dargebracht wurde.“ Nach Erinnerung des Lehrers Presber trug Wagner dunkle Kleidung und als Kopfbedeckung ein dunkelgrünes Samtbarett.
Heinrich Hoffmann
Der Frankfurter Psychiater, Lyriker und Kinderbuchautor Heinrich Hoffmann (1809-1894), Autor des weltberühmten „Struwwelpeter", war bereits 1815 als Kind mit seiner Stiefmutter und seiner Schwester in Soden zu Gast. Der junge Hoffmann wohnte damals im Frankfurter Hof. Dieses Gebäude hat sich, wenn auch stark verändert, als Bauteil des Hundertwasserhauses erhalten.
Der erfolgreiche Nervenarzt hielt sich wiederholt als Kurgast in Soden auf. Nachgewiesen sind mindestens fünf Aufenthalte, teils allein, teils mit seiner Frau oder seiner Tochter in den Jahren zwischen 1888 und 1894. Er logierte in der Kurvilla des Lehrers Bautz, die später den Namen Nassovia erhielt (Königsteiner Straße 89).
Hoffmanns Äußerungen zu den Soden-Aufenthalten, vor allem in seinen Lebenserinnerungen, lassen vermuten, dass das Dorf am Taunusrand ihm ein Ort der Ruhe und Erholung bot. So reiste er allein im Juni 1890 nach dem Trubel seiner Goldenen Hochzeit am 5. März 1890 nach Soden. Bereits einige Jahrzehnte zuvor hatte ihm das „stille langweilige[…] Soden“ Linderung von einem heftige[n] Katarrh gebracht, den er sich im April 1848 als Mitglied des Frankfurter Vorparlaments geholt hatte. Auf Wunsch seiner Frau reiste er außerhalb der Kursaison, die von Juni bis September ging, nach Soden und kurierte sein Leiden. „…im April bei schlechtem Wetter ganz einsam als einziger Kurgast […], in einer hübschen Wohnung von fünf Zimmern“, wie er in seinen Lebenserinnerungen festhielt.
Umso schöner ist es, inzwischen nachweisen zu können, dass Teile der Struwwelpeter-Ausgabe von 1873 bei dem Buchbinder Ferdinand Klauer in Soden gebunden wurden.
Felix Mendelssohn Bartholdy
„– da tut das Sodener Leben, Essen und schlafen ohne Frack, ohne Klavier, ohne Visitenkarten, ohne Wagen und Pferde, aber auf Eseln, mit Feldblumen, mit Notenpapier und Zeichenbuch, mit Cécile und den Kindern, doppelt wohl“ - schrieb Mendelssohn in einem Brief vom 22. Juli 1844
Der bekannteste Kurgast war der Komponist, Pianist und Organist Felix Mendelssohn Bartholdy (1809-1847). Nach ihm sind die Mendelssohn Tage benannt, die alljährlich in Bad Soden am Taunus stattfinden. Er hielt sich 1844 und 1845 für mehrere Wochen in Soden auf und wohnte mit seiner Familie sowie den mitgebrachten Hausangestellten in der Kurpension Nassovia, heute Casa Mendelssohn. Anlass seines ersten Aufenthalts war vor allem die von Geburt an schlechte Gesundheit seines einjährigen Sohnes Felix. Aber wie wir aus seinen Briefen erfahren, war auch seine Frau Cécilie gesundheitlich angeschlagen.
Durch Felix ausführliche Briefe an Familie, z.B. an seine Schwester Fanny , und Freunde sind wir bestens über den Kuralltag in Soden unterrichtet: „…Ich sitze hier am offenen Fenster, sehe in den Garten, und den Kindern zu, die da mit ihrem ‚lieben Johann’ [Hausangestellter der Familie] spielen, – der [Pferde-]Omnibus fährt zweimal des Tags vorbei, – zum Kaffee gibt es früh Walderdbeeren – um 2 wird zu Mittag gegessen, um 8 1/2 zu Abend, um 10 Uhr schlafen wir alle – der Brunnen Nr. 18 [korrekt wäre Nr. XIXa], den man auch Champagner-Brunnen nennt, – der Medizinalrath Thilenius – die Badeliste, die Sonnabend herauskommt, wie bei Euch der Punch, – der Fußbote, der anfragt, und mir Tags darauf meine Wäsche von dort mitbringt, – die Kirschfrauen, mit denen unser 4jähriger Paul den Handel abschließt, oder sie wegschickt, nach Belieben – vor alle, die rheinische, gute Luft – es ist Alles wohlbekannt, und ich nenne es Deutschland!“
In der geruhsamen Atmosphäre Sodens komponiert Mendelssohn, es entstehen u.a. diverse Orgelkompositionen, und er vollendet das Violinkonzert in e-Moll Opus 64, ein klassisches Orchesterwerk. Außerdem unternimmt er Ausflüge in die nähere Umgebung, und da Mendelssohn viele dieser Ausflugsziele in seinem Skizzenbuch festhielt, haben sie sich für die Nachwelt erhalten.
Friedrich Stoltze
„Deutsches Nizza! mildes Soden!
Mit berühmten Säuerlingen,
Die vor Freude aus dem Boden
Zwölf pariser Fuß hoch springen“
Aus der „Frankfurter Latern" 1873
So beginnt der Frankfurter Nationaldichter Friedrich Stoltze (1816-1891) sein Gedicht „Sodener Krankheit", eine humoristische Erzählung mit hohem Wahrheitsgehalt. Es geht um eine leidende Frankfurter Dame, die auf wundersame Weise sofort genesen ist, sobald sie zur Sommerfrische (Kur) ihre Freundinnen in Soden treffen darf; natürlich alles auf Kosten des daheim gebliebenen Ehemanns. Über Soden hat Stoltze, der demokratisch gesinnte Verfasser der Satirezeitschrift Frankfurter Latern, zahlreiche Gedichte und Erzählungen verfasst. Allein das „Nadelkissen", womit der damals mit Weinstöcken gespickte Burgberg gemeint war, ist dem Kenner ein Begriff.
Warum er in der Rubrik Kurgäste hier angeführt wird, hat seinen Sinn. Stoltze kurte wiederholt im nahe gelegenen Königstein. Allerdings riet ihm der dortige Badearzt Dr. Georg Pingler nach Soden zu laufen, um das hiesige Heilwasser zu trinken: In einem Brief an seine Tochter Alice schrieb Stoltze 1890 aus Königstein: „Daß mir die Kur in Königstein etwas nützt, bezweifle ich. … Neulich war ich mit Laura und in Gesellschaft von zwei Südamerikanern nach Soden gegangen. Es war das zu weit für mich und ich hatte eine hustenvolle und schlaflose Nacht. Pingler aber sagt, ich soll jeden Tag von Königstein nach Soden gehen und da ein Glas Wasser von der Quelle Nr. 3 trinken. In Königstein zur Wasserkur soll ich täglich nach Soden gehen, um das dortige Wasser zu trinken!“ Über das Sodener Kurleben macht sich Stoltze auch in einem Gedicht lustig. Es handelt von einem Dorfbewohner, der einem englischen Kurgast im Kurpark „auf Schritt und Tritt“ hinterherläuft – jedoch nicht aufgrund dessen auffälliger Erscheinung, sondern weil der „Englishman" in vierzehn Tagen Aufenthalt nicht einmal gehustet hat und sich somit verdächtig macht.
Stoltze wird noch mit einer anderen Begebenheit in unserer Umgebung in Verbindung gebracht. Diese ereignete sich 1827 in Höhe des Batzenhauses in Neuenhain, das heute in einem Neubau von 1981 koreanische Küche anbietet. Beim Stammtisch im traditionsreichen Frankfurter Gasthof Zum Rebstock in Frankfurt wurde die Idee geboren, mit einem pferdebespannten Rollwagen, auf dem ein selbstgebautes Schiff montiert war, von Frankfurt aus zur Königsteiner Kirmes zu fahren. Ideengeber dieses Spektakels war u.a. der Wirt des Gasthauses, Friedrich Christian Stoltze, der Vater des Mundartdichters. Stoltze jun. nahm dann auch selbst als Elfjähriger an der Bootsfahrt teil und verarbeitete dieses Erlebnis später (1866) in seiner Mundarterzählung „Der Schiffbruch des Raddampfers ‚Freie Stadt Frankfurt‘ im Jahre 1827". Bei der Rückfahrt von Königstein erlitt dieser "Raddampfer" auf dem Neuenhainer Berg „Schiffbruch": Die Hemmkette riss und das Gefährt samt Insassen stürzte die Böschung herunter. Zum Glück wurde dabei niemand ernstlich verletzt.
Graf Leo (Lew Nikolajewitsch) Tolstoi
„Ich habe dein abscheuliches Soden dafür liebgewonnen, daß es dich wieder auf die Beine gebracht hat“, so Fürst Ščerbackij an seine Tochter Kitty in Tolstois Roman Anna Karenina.
Graf Leo Tolstoi (1828-1910) besuchte Soden 1860. Kurz zuvor waren seine beiden Brüder Nikolai und Sergei sowie seine Schwester Marja auf Empfehlung seines Schriftstellerkollegen Iwan Turgenjew in Soden. Dieser hatte den Geschwistern Tolstois den nassauischen Kurort empfohlen, da Nikolai Tolstoi schwer an Tuberkulose erkrankt war. Er bat den russischen Lyriker Afanasij Fet dafür zu sorgen, dass Nikolai umgehend zur Kur nach Soden geschickt werde: „Weshalb kommt er nicht nach Soden? … Die Wässer von Soden sind für solche Fälle am besten, wenn nicht die besten." Doch als Leo am 26. August 1860 in Soden eintraf, waren Turgenjew und seine Geschwister bereits weitergereist.
Wie nachhaltig sich Soden bei Leo einprägte, verraten die zahlreichen Reminiszenzen an den kleinen Taunusort in seinem Roman Anna Karenina, den er in den Jahren 1873-78 verfasste. Im Rahmen seiner pädagogischen Studien und dem Versuch, die schulischen Zustände in Russland zu reformieren, besuchte er auch die hiesige Volksschule, damals noch im alten Ortskern gelegen. Im Besucherbuch notierte er: „Keine bessere Volksshule [sic!] gesehen – Graf Leo Tolstoy, Rußland. Gutsbesitzer 28./29. VIII. 1860.“ Im Stadtmuseum ist das originale Besucherbuch ausgestellt.
Leo wohnte in einer Villa gegenüber dem (Alten) Kurpark in der Villa Keller, die heute auch als Villa Tolstoi, Königsteiner Straße 83 bezeichnet wird. Die Villa Keller wurde 1989 vollständig renoviert und steht einschließlich des Gartens mit seinem alten Baumbestand unter Denkmalschutz. 1860 ging als das „Russenjahr" in die Sodener Geschichte ein. Dank der ausgebauten Verkehrswege kamen auch immer mehr ausländische Kurgäste nach Soden, darunter viele wohlhabende Russen.